Christian Zacharias’ autobiografisches Buch über ME/CFS, medizinisches Versagen und gesellschaftliche Ignoranz.
Christian Zacharias wollte nie ein Buch schreiben. Zumindest nicht über Krankheit, über Leid, über systematisches Versagen. Doch als er selbst von einem Moment auf den anderen schwer krank wurde – mit unerklärlichen Schmerzen, raschem Gewichtsverlust und völliger Erschöpfung – blieb ihm kaum etwas anderes übrig. In „Alles psychosomatisch! – Wie unser Gesundheitssystem hunderttausende Menschen kaputtgehen lässt“ dokumentiert er auf über 400 Seiten schonungslos und eindringlich, was es bedeutet, in einem Gesundheitssystem zu stranden, das die eigene Erkrankung nicht versteht – und daher leugnet.
Zacharias’ Bericht beginnt mit einem körperlichen Zusammenbruch. Ein vormals gesunder Mann wird innerhalb kürzester Zeit zum Pflegefall – und keiner weiß warum. Was folgt, ist eine Odyssee durch Wartezimmer, Notaufnahmen und Facharztpraxen. Statt Hilfe erfährt er Ablehnung. Statt Diagnostik: Abwertung. „Das ist psychisch“, hört er immer wieder. Und mit diesem Stempel beginnt eine zweite Krankheit – die Ausgrenzung durch ein System, das psychosomatisch mit „nicht real“ gleichsetzt.
Im Zentrum des Buches steht die Erkrankung ME/CFS – Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom –, eine Krankheit, die trotz weltweiter Betroffenenzahlen in Deutschland weitgehend ignoriert wird. Zacharias schreibt eindringlich über die Hilflosigkeit, mit der Betroffene nicht nur von Ärzten, sondern auch von Familie, Freunden und Arbeitgebern zurückgelassen werden. Er beschreibt die Erschöpfung, die kein Schlaf bessert, die Schmerzen, die kein Schmerzmittel lindert – und die Frustration darüber, dass viele dieser Symptome im ärztlichen Alltag schlicht nicht vorkommen dürfen.
Dabei bleibt das Buch nicht bei der persönlichen Ebene stehen. Es ist eine Anklage gegen ein medizinisches System, das nur funktioniert, solange die Krankheit in ein bekanntes Raster passt. Zacharias prangert die strukturellen Defizite an, die institutionalisierte Ignoranz gegenüber chronischen Erkrankungen und die erschreckende Arroganz, mit der Ärzte körperliche Beschwerden als psychisch abtun – nicht aus Überzeugung, sondern aus Hilflosigkeit.
Was das Buch so lesenswert macht, ist nicht nur der authentische Erfahrungsbericht, sondern auch die gesellschaftliche Relevanz. Zacharias schreibt nicht nur für sich – er schreibt für Tausende, deren Geschichten nie gehört werden. Er macht sichtbar, was viele nicht wahrhaben wollen: Dass eine psychosomatische Schublade oft nichts anderes ist als das Eingeständnis, dass jemand nicht weiterweiß. Und dass diese Form der Diagnose oft mehr schadet als nützt.
„Alles psychosomatisch!“ ist kein medizinisches Fachbuch. Es ist auch keine sachliche Analyse. Es ist ein Aufschrei. Und als solcher hallt er lange nach. Wer dieses Buch liest, wird ME/CFS mit anderen Augen sehen – und das deutsche Gesundheitssystem vielleicht auch.
„Alles Psychosomatisch – Wie unser Gesundheitssystem hunderttausende Menschen kaputtgehen lässt“ von Christian Zacharias, ISBN 9 783759 786715 für 14,95 EUR als Taschenbuch oder 0,99 EUR als eBook.