ME/CFS und die Psyche

Ja, eine schlechte psychische Verfassung spielt bei ME/CFS Betroffenen eine Rolle. So viel ist klar. Aber zu sagen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen psychischer und physischer Gesundheit und es sich darauf beruhen zu lassen ist nur ein Teil der Wahrheit. Ein bequemer, denn dann kann man als Arzt sagen: Case closed.

Dabei lässt dies das Wesentliche aus. Wenn man es darauf beruhen lässt zu sagen, dass eine Wechselwirkung zwischen mentaler und physischer Gesundheit besteht, könnte man als Arzt verleitet werden anzunehmen, dass man an beiden Enden ansetzen kann, um die Symptome zu verbessern. Und dass es den gleichen Effekt hätte.

Warum soll man sich auch die Mühe machen herauszufinden, was zuerst da war? Es ist ja ein Henne und Ei Problem.  Aber man kann es sich leicht machen und sagen: Ist halt Rührei.

Diese Logik ist unglaublich verlockend, spart sie doch Zeit im Praxis-Alltag. Aber sie hat einen fatalen Fehler:

Wenn jemand unter Depressionen leidet, werde ich die Person ermuntern, sich zu bewegen, angenehme Beschäftigen auszuführen, Sport zu machen. Zum Beispiel einen Spaziergang zu machen.

Aber wenn jemand PEM (Post Exertional Malaise) hast, und wenn also Dein Energiestoffwechsel nicht funktioniert und Dein autonomes Nervensystem auch nicht, ist einen Spaziergang zu machen etwas, was das dysfunktionale aerobische System dieser Person überlastet und an die Wand fährt. Ein Zustand, der die vielfältigen Symptome krass steigert – über Tage, Wochen, Monate oder auch für immer.

Während es also wichtig ist anzuerkennen, dass psychische und physische Gesundheit beide wichtig sind, und festzustellen, dass ME/CFS Patienten mit ihren psychischen Belastungen meist allein gelassen werden, gibt es einen Weg damit umzugehen, der nicht so tut, als ob das alles irgendwie gleich wäre. Denn das ist es nicht.

Die Art und Weise, wie diese Diskussion geführt hat, ist eine zusätzliche psychische Belastung für Betroffene. Ärzte, die nur aufgrund fehlenden Wissens eine Psycho-Diagnose ohne entsprechende Diagnostik aufschreiben, bedienen sich einer bequemen Verlegenheitsdiagnose, die den Betroffenen schweren Schaden zufügt. Auch psychischen. Aber nicht nur. Und das bisweilen auf Dauer.

Wenn man es umdreht, hätte man einen Psychiater, der Krebs diagnostiziert, nur weit er mit seinem Latein am Ende ist.
Ernsthaft, liebe Ärzteschaft. Lasst uns vereinbaren, dass Ihr es ab sofort besser macht. Und dann macht das.